"Sie therapieren Menschen, Frau Müller?"
"Ihhh, nein. Menschen kann man nicht therapieren. Der
Mensch ist, was er ist. Alles Leid, aller Schmerz, alles Glück, alle
Ressourcen, alles Verdrängte, alle Chancen, alle Vergeblichkeiten, alle Lust,
aller Hass, alle Liebe. Alles, was er mitgebracht, bekommen und gegeben hat.
Oft in einem chaotischen Gemisch, verwoben in all seinen Teilen. Manchmal
atemlos, ertrinkend, verloren scheinend. Ich begleite, ich reiche Werkzeuge, um
Türen hinter den Wänden und dem Verputz von Jahrzehnten frei zu kratzen. Ich helfe
beim Schlüssel finden, ab und an öffne ich auch einen Spaltbreit. Meistens
jedoch höre ich einfach zu. Schenke Zeit und Aufmerksamkeit, sammle Tränen und
Wut, mische sie mit Lachen, Freude, Dankbarkeit und Hoffnung. Werfe den Ball
ganz weit und ermutige, ermutige, ermutige wenn aus dem Stolpern danach die
ersten zaghaften eigenständige Schritte werden. Ich reiche die Hand und bin
einfach da."
"Nun, Sie haben aber auch eine Menge unterschiedlicher
Ausbildungen und sind alles andere als unprofessionell."
"Ja, die diversen Ausbildungen sind gut und nützlich.
Sie erweitern den Werkzeugkasten und erleichtern auch die Selbstreflexion. Doch
letztendlich, das lehrte mich mein Leben, unterm Strich zählt dann doch nur
eines: Das Wohlwollen sich selbst und allen Menschen gegenüber. Gibt es das
nicht in einem, dann ist alles Wissen nur Tünche und Makulatur."
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