Ein Aspekt, der in Diskussionen über Beziehungen nicht so
oft auftaucht, der mir aber zumindest erwähnenswert erscheint, nenne ich den
unerfüllbaren „All-Inclusive-Anspruch“: Der Wunsch, der Traum, dass der
geliebte Partner, die geliebte Partnerin all meine Bedürfnisse, all meine
Sehnsüchte, all meine Begierden, all meine leeren Stellen, und, und, und …
ausfüllen wird. Dabei nimmt die Sexualität nur einen kleinen Raum ein. Das
er/sie, das Teil ist, das mich zu einem Ganzen werden lässt. Sich einpasst in
mir, wie ein fehlendes Puzzleteil und aus uns beiden etwas Drittes, Neues,
Wunderbares entstehen lässt.
Und in der ersten Phase des VerliebtSeins, in der ersten
Zeit der Beziehung, in den ersten Wochen, Monaten, ja vielleicht Jahren, da
fühlt es sich ja auch so an, da stimmt es ja auch: Man ist voll und übervoll
durch den anderen. So ganz und heil und mittig. So fast unerträglich groß und
größer. Der andere breitet sich aus in einem und lässt einen selbst wachsen und
gedeihen in wahnsinniger Schnelle. Man entdeckt so viel Neues in sich und
verändert sich gemeinsam.
Aber, nach einer Weile, da stellt man voller Liebe fest:
Dieses gemeinsame Neue hat auch Sehnsüchten, Träumen, Bedürfnissen, Aspekten
der eigenen Persönlichkeit Raum geschaffen, die man bei dem anderen nicht
abdecken kann … und er/sie die seinen nicht bei einem selbst.
Die Erkenntnis wächst: Ich kann nicht alles sein für
meinen Partner, meine Partnerin. Ich habe weder die Zeit, die Kapazität, das
Wissen noch das Können und die Energie alle Bedürfnisse meines Gegenübers
umfassend und kompetent zu befriedigen. Und mein Gegenüber kann dies auch
umgekehrt nicht erfüllen.
Nun, die gängige Haltung dazu ist: Wer liebt, der steckt
zurück. Macht Kompromisse, beschneidet sich, schränkt sich ein, nimmt sich und
seine Bedürfnisse zurück. Passt sich dem anderen an und setzt sich selbst
Grenzen durch Genügsamkeit. Man nimmt Opfer in Kauf für die Liebe und erwartet
solche von dem anderen – und verfängt sich manchmal dann in Opferhaltungen, in
Aufrechnungen, die nicht gesund sein können für die Liebe, sondern oft der
Dünger sind für Untreue und Eifersucht.
Weil Liebe, in meinem Verständnis, will, dass der andere
wächst und gedeiht. Sich entwickelt nach all seinen Möglichkeiten, seine
Potentiale voll entfalten kann. Nicht nach meinem Gusto und nicht zur
ausschließlichen Befriedigung meiner Bedürfnisse. Sondern an und für sich.
Liebe beinhaltet diese Freiheit und kann nur Liebe sein auf Grundlage
derselben.
Aus diesem Grunde erscheint mir Liebe zu beinhalten und
die Basis dafür zu sein, dass der Andere durch meine Liebe zu ihm/ihr ermutigt
werden sollte, neue und andere Erfahrungen zu machen. Aspekte seiner
Persönlichkeit mit anderen auszuleben, einen Teil seiner Bedürfnisse und
Sehnsüchte mit anderen Menschen zu erfüllen und daran weiter zu wachsen.
Einfach und viel banaler ausgedrückt: Aus rein
egoistischen Gründen brauche ich den anderen lebendig und wachsend auch
außerhalb meiner Verantwortung und meinem Zutun. Und auch ich brauche diesen
Raum und diese Luft, um daran zu wachsen und mich weiter zu entwickeln. Weil
nur so bleibt unsere Beziehung lebendig und voller Reichtum. Nur so ist jeder
Tag, jedes gemeinsame Tun erfüllend wie am Anfang und töten Gewohnheit,
Langeweile und Alltagstrott nicht die gemeinsame Freude und den Genuss an der
Bereicherung durch den anderen ab.
Damit das funktioniert, braucht es eine ehrliche
Kommunikation miteinander, aber auch mit sich selbst. Mitteilsames Vertrauen in
das Ich, das Du und in das Wir.
Der Satz: „Was ich liebe, muss ich loslassen.“ erscheint
mir aufgrund dieser Überlegungen recht stimmig. Weil, wenn ich nicht loslasse,
dann wird die Liebe sich verabschieden. In mir und in dem anderen.
Deshalb bin ich einfach egoistisch und lasse Dich voller
Freude gehen, damit Du und ich bleiben können.
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