Arbeits- und Diskussionsblog



„Jeder Mensch hat das Recht zwischen einer Vielfalt von gleichwertigen Lebens- und Beziehungsmodellen frei und eigenverantwortlich für sich wählen zu können.
Aus dieser Wahl dürfen weder ihm noch einem anderen Menschen gravierende psychische, soziale, gesellschaftliche, wirtschaftliche oder sonstige Vor- oder Nachteile entstehen."




Ein Aspekt, der in Diskussionen über Beziehungen nicht so oft auftaucht, der mir aber zumindest erwähnenswert erscheint, nenne ich den unerfüllbaren „All-Inclusive-Anspruch“: Der Wunsch, der Traum, dass der geliebte Partner, die geliebte Partnerin all meine Bedürfnisse, all meine Sehnsüchte, all meine Begierden, all meine leeren Stellen, und, und, und … ausfüllen wird. Dabei nimmt die Sexualität nur einen kleinen Raum ein. Das er/sie, das Teil ist, das mich zu einem Ganzen werden lässt. Sich einpasst in mir, wie ein fehlendes Puzzleteil und aus uns beiden etwas Drittes, Neues, Wunderbares entstehen lässt.

Und in der ersten Phase des VerliebtSeins, in der ersten Zeit der Beziehung, in den ersten Wochen, Monaten, ja vielleicht Jahren, da fühlt es sich ja auch so an, da stimmt es ja auch: Man ist voll und übervoll durch den anderen. So ganz und heil und mittig. So fast unerträglich groß und größer. Der andere breitet sich aus in einem und lässt einen selbst wachsen und gedeihen in wahnsinniger Schnelle. Man entdeckt so viel Neues in sich und verändert sich gemeinsam.

Aber, nach einer Weile, da stellt man voller Liebe fest: Dieses gemeinsame Neue hat auch Sehnsüchten, Träumen, Bedürfnissen, Aspekten der eigenen Persönlichkeit Raum geschaffen, die man bei dem anderen nicht abdecken kann … und er/sie die seinen nicht bei einem selbst.
Die Erkenntnis wächst: Ich kann nicht alles sein für meinen Partner, meine Partnerin. Ich habe weder die Zeit, die Kapazität, das Wissen noch das Können und die Energie alle Bedürfnisse meines Gegenübers umfassend und kompetent zu befriedigen. Und mein Gegenüber kann dies auch umgekehrt nicht erfüllen.


Nun, die gängige Haltung dazu ist: Wer liebt, der steckt zurück. Macht Kompromisse, beschneidet sich, schränkt sich ein, nimmt sich und seine Bedürfnisse zurück. Passt sich dem anderen an und setzt sich selbst Grenzen durch Genügsamkeit. Man nimmt Opfer in Kauf für die Liebe und erwartet solche von dem anderen – und verfängt sich manchmal dann in Opferhaltungen, in Aufrechnungen, die nicht gesund sein können für die Liebe, sondern oft der Dünger sind für Untreue und Eifersucht. 

Weil Liebe, in meinem Verständnis, will, dass der andere wächst und gedeiht. Sich entwickelt nach all seinen Möglichkeiten, seine Potentiale voll entfalten kann. Nicht nach meinem Gusto und nicht zur ausschließlichen Befriedigung meiner Bedürfnisse. Sondern an und für sich. Liebe beinhaltet diese Freiheit und kann nur Liebe sein auf Grundlage derselben.

Aus diesem Grunde erscheint mir Liebe zu beinhalten und die Basis dafür zu sein, dass der Andere durch meine Liebe zu ihm/ihr ermutigt werden sollte, neue und andere Erfahrungen zu machen. Aspekte seiner Persönlichkeit mit anderen auszuleben, einen Teil seiner Bedürfnisse und Sehnsüchte mit anderen Menschen zu erfüllen und daran weiter zu wachsen.

Einfach und viel banaler ausgedrückt: Aus rein egoistischen Gründen brauche ich den anderen lebendig und wachsend auch außerhalb meiner Verantwortung und meinem Zutun. Und auch ich brauche diesen Raum und diese Luft, um daran zu wachsen und mich weiter zu entwickeln. Weil nur so bleibt unsere Beziehung lebendig und voller Reichtum. Nur so ist jeder Tag, jedes gemeinsame Tun erfüllend wie am Anfang und töten Gewohnheit, Langeweile und Alltagstrott nicht die gemeinsame Freude und den Genuss an der Bereicherung durch den anderen ab.

Damit das funktioniert, braucht es eine ehrliche Kommunikation miteinander, aber auch mit sich selbst. Mitteilsames Vertrauen in das Ich, das Du und in das Wir.

Der Satz: „Was ich liebe, muss ich loslassen.“ erscheint mir aufgrund dieser Überlegungen recht stimmig. Weil, wenn ich nicht loslasse, dann wird die Liebe sich verabschieden. In mir und in dem anderen.


Deshalb bin ich einfach egoistisch und lasse Dich voller Freude gehen, damit Du und ich bleiben können.

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